Till Bochmann
Wir sind hier, um Räume zu spüren und Orte zu schaffen. Jeder Raum, Platz, Bereich, Ecke und so weite hat sein ganz eignes Gefühl. Dieses Gefühl ist das poetic image*, quasi das Bild, welches sich spontan und intuitiv in deinem Kopf abbildet. Dabei ist ein Raum nicht immer von Wänden bestimmt, sondern kann sich auch durch Materialität, Licht oder Höhenunterschiede abgrenzen. Somit kann Raum mit der dazugehörigen Atmosphäre, welche das poetic image* hervorruft, sehr individuell sein, aber es ist auch möglich Räume vorzubestimmen. Diese Räume werden dann mit einem artistic image* geschafften, d.h. der creator schafft einen Raum mit einer Intension ein bestimmtes Bild zu vermitteln, das heißt aber nicht, dass z.B. du, diese Idee teilst, du kannst auch etwas anderes sehen und fühlen als der creator angedacht hat. Stehen wir nun in solch einem geschaffenen Raum, kann man feststellen, dass der gesamte Körper involviert ist, man hört die Schritte, man spürt die Kälte, man fühlt die raue Oberfläche und man sieht die verschiedenen Formen. All diese Sinneseindrücke kommen zusammen und lassen dich den Raum, in dem du gerade stehst, fühlen. So verbindet man diese Eindrücke immer mit einer Erinnerung und einen bestimmten Ort und ohne diese Eindrücke wäre der Ort nicht der Ort. Demzufolge kann die Gleichung body + space = place aufstellen, dies bedeutet, jeder Mensch kann aus einem Raum mit Hilfe von seinen Gefühlen einen Ort schaffen. Was nun dieser Ort jedem Einzelnen bedeutet, kann sehr unterschiedlich sein. Und so befinden wir uns wieder am Anfang mit; Räume spüren und Orte schaffen.
A visit to the Haus Lemke in Berlin, built in 1933 by Mies van der Rohe…
ANGENEHM
Angenehm war wohl das erste Wort was mir, im Garten stehend, mit dem Blick auf das Gebäude gerichtet, in den Sinn kam. Es wirkte, wie selbstverständlich, wie sich das Haus in die Umgebung eingliederte. Der Innenhof wirkte gelassen, einladend und offen, als wäre er ein weiter Raum des Hauses. Es war ein Spiel zwischen Innen und Außen, war man drinnen sah man nach draußen, war man draußen so schaute man nach drinnen, so eng verbunden fühlten sich die zwei Räume an.
WHAT
INTERESSANT
Zuerst vielen mir die Muster im Mauerwerk auf. Es war interessant wie willkürlich, aber doch wiederholenden die Maserung der Steine waren. Das Interesse ging so weit, dass ich nähertreten musste und die unterschiedlichen Steine anfassen wollte. Die Backsteine waren sehr glatt, alle von ihnen, selbst jene, die so unterschiedlich aussahen. Trotz der Muster ist es eine angenehme Fassade, sie wirkte richtig warm und gemütlich. So kamen mir die Gedanken, dass mich wohl ein gemütliches, warmes inneres im Haus erwarteten.
HOW
MUSTER
Das Mauerwerk ist durchzogen von Steinen, mit unterschiedlicher Maserung und Farbgebung, wodurch auf der Wand Strukturen entstehen. So entsteht kein monotones Fassadenbild, sondern ein bewegtes, lebendiges Wanderlebnis. Ich entdecke immer neue Muster und Strukturabfolgen, welche sich anscheinend chaotisch durch die Fassade ziehen. Es ist aber interessant, wie trotz scheinbarer Willkür in der Abfolge der Steine, ein System entsteht, welches sich durch wiederholende Einzelelemente, wie zum Beispiel der diagonalen Streifen auf den Steinen entwickelt. Farblich wirkt der orange, rote Backstein warm und die Farbnuancen auf den Steinen besitzen den gleichen Farbton und gliedern sich, trotz unterschiedlicher Helligkeit, dem einen Ton unter. Dies mach die Fassade zu einer abgerundeten Einheit. So wird die Erwartung geschürt, dass sich diese Einheit, auch im Inneren durchzieht.
WHY
ZIEGELSTEIN
Die rot bunten Ziegel des Hauses Lemke sind kohlgebrannte Steine mit einer großen Maßtoleranz. Somit weichen die Ziegel dem Reichsformat ab, damit entsteht eine lebendige Fassadenstruktur, welche eine gewisse Plastizität aufweist. Es entsteht eine massive Wand zur Straße hin, welche lediglich durch das Fensterband der Küche aufgelockert wird. So bildet die vom Garten abgewandte Seite des L förmigen Baukörpers das Rückrad, mit den hier angeordneten Versorgungsräumen.
GEMÜTLICH
Wie ist es in den Räumen zu leben? Haben sie dann immer noch ihre Selbstverständlichkeit, wie ich sie verspürte? Der Gedanke an den Sessel mit Tee ist schön, aber funktioniert das auch mit anderen alltäglichen Möbeln oder funktioniert es nur mit einem Einzelobjekt? Viele Fragen habe ich mir in den einfachen Räumen des Hauses gestellt.
WHAT
WOHLGEFÜHL
Innen war es die Einfachheit, die mich beeindruckte. Es war nichts besonders und nichts hervorstechend und trotzdem war das gesamte Zusammenspiel der Elemente in so einer Selbstverständlichkeit angeordnet, dass ich mich einfach wohlfühlte. Es überkam mir der Gedanke ich hier in einen Sessel zusetzen, Tee zu schlürfen und die Sicht nach draußen zu genießen. Selbst die Türklinke gliederte sich allem unter und lud mich zum Anfassen ein, sie war glatt und passte sich gut in die Hand ein und man wollte sie betätigen.
HOW
ÜBERGÄNGE
Das angenehme des Ortes kommt wohl aus dem Zusammenspiel der Farbigkeit und den Proportionen des Gebäudes, wie auch von dem Garten ringsum. Die Farbigkeit ist wie schon beschrieben ruhig, aber nicht monoton, die orange rote Farbe strahlt wärme aus und vermittelt die Materialität der Ziegel ziemlich gut. Die Proportionen des Gebäudes sind auf den Menschen angepasst, es ist nicht zu hoch und dennoch scheint es genügend Platz für die innenliegenden Räume zu bieten. Der Garten ist eine grüne Oase, welche gepflegt, aber dennoch natürlich wächst. Die Bäume sind meist nicht sehr hoch und es gibt ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen der freien Wiese und der bewachsenen Flächen. Diese ausgeglichenen Verhältnisse machen den Ort zu einem sehr runden, harmonischen Platz des Wohnens. Der Hof-Charakter kommt durch die L-Form des Gebäudes zustande, so umrahmen die beiden Flügel des Hauses einen Raum, den ich als Hof interpretiere. Diese räumliche Abgrenzung wird auch durch die Farbigkeit und Materialität der Bodenplatten unterstützt, welche sich von der angrenzenden Rasenfläche abhebt. Das Zusammenspiel zwischen Innen und Außen kommt durch die Transparenz der großen Glasfronten zustande. Die dünnen Fensterprofile sind sehr zurückhaltend und lassen einen freien Blick nach außen, sowie nach innen zu. Dieser hauchdünne Übergang schafft die Angliederung des Hofes an das Haus und verstärkt den Eindruck, als würde der Hof einen weiteren Raum des Hauses. Auch die Farbigkeit des Parkettbodens zieht sich bis nach draußen und schafft damit eine optische Angliederung des Hofes und der Innenräume.
WHY
HAUS LEMKE
Den Wunsch von Karl Lemke nach enger Verbundenheit zwischen innen und außen scheint Mies erfüllt zu haben. Das L-förmige Wohnhaus umschließt die Terrasse und integriert sie mit der Stahl-Glas-Fensterkonstruktion in das Wohnhaus. Nach dem Motto Luft, Licht und Bewegung bildet das entstandene „Gartenzimmer unter freien Himmel“ das zentrale Motiv im Wohnkonzept des neuen Bauens und bildet den Übergang von innen nach außen. Draußen befindet sich der naturnahe Wohngarten, welcher nach dem Paradigma von Hammerbacher „Lichtung im Wald“ geplant wurde. Hier bilden große Gehölze und Stauden den Äußeren-Abschluss des Grundstücks und umschließt eine großzügige Rasenfläche, eine Obstwiese und verschiedene Blumenrabatten. Hierbei wurde auf eine klare Sichtachse zwischen der Terrasse und dem angrenzenden See geachtet. Straßenseitig steht das schlichte, selbstbewusst Gebäude, welches mit den umliegenden mehrgeschossige Siedlungs- und Villenbauten konkurriert. Die Proportionen der rechteckigen Baukuben nehmen die Proportionen der Ziegel, als kleinste Einheit, auf und vergrößern diese. Dies gibt dem Haus eine natürliche Proportion und lässt die Räume innen natürlich und angenehm wirken. Die 2,8 m hohen Räume, mit raumhohen Türen, mit der ihrer einfachen und schlichten Gestaltung lässt Mies in den Hintergrund treten, um das Wohnen im Haus zu zelebrieren.