PAUL-GERHARDT-KIRCHE
Nico Hölzel
Year: 1962
Location: Berlin
Architect: Hermann Fehling
INTUITION
absorbing atmospheres
STIMULATED
Bevor ich die Kirche betrete, bin ich schon von ihrer äußeren Erscheinung zutiefst beeindruckt. So viele Volumen prallen aufeinander. Senkrechte und horizontale Linien suche ich vergeblich. Der Bau ist gezeichnet durch Vorsprünge, Rücksprünge und Einschnitte Diese Masse an Eindrücken potenziert sich, nachdem ich die Kirche betreten habe. Es gibt so viel zu sehen. Ich verspüre den Drang alles anzufassen. Ich berühre den groben Beton, der sich unter meinen Händen wie eine Kraterlandschaft anfühlt. Ich streiche über das geschliffene Holz der Sitzbänke, berühre den kalten Stein auf dem Boden. Fahre entlang der Holzstühle, der Fensterrahmen aus Stahl, der Türgriffe aus Messing. Ich sauge alles auf. Immer auf der Suche nach einem neuen Reiz.
ALONE BUT NOT LONELY
Mit Betreten der Kirche löst sich mein Ich, meine Individualität auf und verschmilzt mit einem unbeschreibbaren größeren Ganzen, einem kollektiven Geist. Ich suche nach einem abgeschiedenen Ort, um mich dieser Erfahrung hinzugeben. Ich bin allein und dennoch nicht einsam. Ich fühle mich deshalb nicht einsam, da ich jedes noch so leise Geräusch meiner Kommilitoninnen wahrnehme. Damit kommt es mir so vor, Teil ihrer Erfahrung zu sein. Mit der Zeit finden den Ort, an dem ich sitze, auch meine Kommilitoninnen. Es stört mich, dass weitere Leute meinen Ort gefunden haben. Ich wollte denken, Teil ihrer Erfahrung zu sein, sie aber nicht Teil meiner Erfahrung. Ich dachte, diese Erfahrung wird nur mir zu Teil und dass ich damit etwas besonderes bin. Mit der Zeit verschwindet meine egozentrische Sicht und ich freue mich über die Gesellschaft und die gemeinsame Erfahrung.
OVERSTIMULATED
All die Reize, die ich aufsauge, bleiben wie Kaugummi in meinem Kopf hängen. Mein Kopf füllt sich und füllt sich und füllt sich. Die Masse von Kaugummi drückt von innen gegen meinen Schädel. Der Druck steigt stetig an, bis ich es nicht mehr aushalte. In diesem Augenblick kippt das Überwältigende ins Überfordernde. All die Eindrücke sind mir zu viel – ich halte es in dem Raum nicht länger aus. Ich flüchte nach draußen und setze mich auf eine Bank.
Ruhe.
Ich höre ein Windspiel und das Zwitschern der Vögel. Ich schaue von Außen wieder in den Raum. Dabei wirkt die Glasscheibe wie ein Reizfilter. Langsam kann sich mein Kopf von seiner Überforderung lösen.
INTENTION
understanding atmospheres
COLLISION
Zerklüftete kalte Betonreliefs geben sich als Innen- und Außenwände zu erkennen. Deren Kontinuität wird unterbrochen durch eingeschobene Volumen sowie sich ändernde Materialien und Oberflächenbeschaffenheiten.
Es prallt kalter Beton auf kalten Beton, Beton auf warmes Holz, Beton auf kalten Stein, Beton auf kalten Stahl und Beton auf warm, kaltes Glas. Das Glas variiert von farbig über durchsichtig zu transparent. Das Holz, wie auch das Glas folgt keiner einzelnen Farbe sondern einem Farbverlauf.
Wird die Kirche mit ihrer Vielfalt an Materialien und Oberflächen als ein neuronales Netzwerk gesehen, dann beschreibt jedes Zusammenprallen unterschiedlicher Materialien, Oberflächen und Farbigkeit eine Oszillation. Diese wird dann Eins zu Eins auf das Individuum übertragen. Geschichtlich passt die Formensprache perfekt in die damalige Zeit. Der zweite Weltkrieg war zu Ende, die Rekonstruktion des aus dem dritten Reich stammenden Erbes war moralisch unvereinbar. Es war eine Zeit des nach vorne Sehens, des Experimentierens angebrochen, um eine neue zukunftsfähige Architektur zu etablieren. Diese Vision sollte durch den Einsatz neuer Bautechniken verwirklicht werden. Im Fall der Kirche nutzten die Architekten Betonschalentragwerke.
TEN(T)SION
Jedes Geräusch, das in diesem Raum entsteht, wird von den rauen Betonwänden reflektiert. Jedes Geräusch steht für einen Menschen, die diesen Raum beleben. Die Ecken und Vorsprünge bieten einen Rückzug ins Private und trotzdem bleibt die Verbindung zur Umwelt bestehen. Ins unendliche Oben schieben sich die Wände und Decken. Dabei schieben sie sich ineinander und gehen auseinander hervor. Der Raum selbst umschließt die Unendlichkeit, wodurch er eine Monumentalität auf das ihn empfindende Subjekt überträgt. Damit wird das Subjekt Teil einer kollektiven Erfahrung, eines größeren Ganzen. Durch die Nutzung des Gebäudes als Kirche wird klar, dass diese Erfahrung alles andere als zufällig ist. Gott, der sich ebenfalls nicht greifen lässt, wird hier ein Raum gewidmet, auf den dasselbige zutrifft. Gleichzeitig ist die Kirche ein Ort der Gemeinschaft, die durch die entstehenden Geräusche greifbar wird. Hervorgerugen werden diese Empfindungen durch das Motiv des Zeltdaches. Dies kam im Zuge von liturgischen Erneuerungsbewegungen auf. Das Zeltdach verleiht der Kirche ein markantes und einprägsames Aussehen. Die steilen, spitz zulaufenden Giebel und die klare Linienführung verleihen dem Gebäude eine majestätische und erhabene Erscheinung. Hinzu kommt das die steilen Winkel zu einer Potenzierung der Lautstärke führen.
IMAGINATION
STIMULATED
communicating atmospheres
Zerklüftete Betonreliefs geben sich als Innen- und Außenwände zu erkennen. Deren Kontinuität wird unterbrochen durch eingeschobene Volumen sowie sich ändernde Materialien und Oberflächenbeschaffenheiten. Es folgt Beton auf Beton, Beton auf Holz, Beton auf Stein, Beton auf Stahl und Beton auf Glas. Das Glas variiert von farbig über durchsichtig zu transparent. Das Holz folgt keiner einzelnen Farbe, sondern einem Farbverlauf. Wird die Kirche mit ihrer Vielfalt an Materialien und Oberflächen als ein neuronales Netzwerk gesehen, dann beschreibt jedes Zusammenprallen unterschiedlicher Materialien, Oberflächen und Farbigkeit eine Oszillation. Diese wird dann Eins zu Eins auf das Individuum übertragen.
LIBRARY
alternative scenario
Wie Bibliotheken sind auch Kirchen ein Ort, der Informationen erschließt, sammelt, bewahrt und zur Verfügung stellt. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser beiden Gebäudetypologien liegt darin, wie sich der Mensch in ihnen fühlt: erhaben, konzentriert, überwältigt. Durch diese Überlegung komme ich zu dem Schluss, die Kirche als Bibliothek zu nutzen.