Juline Junge with non-architect guest Lisa
Unsere Aufgabe als Architekt:innen ist es Space zu erschaffen. Durch die Manipulation und das Spiel mit räumlichen Parametern kreieren wir eine Atmosphäre. Diese wird so entworfen, um alle Sinne des menschlichen Körpers anzusprechen. Erst durch das intuitive Handeln des menschlichen Körpers wird aus einem Space ein Place.
Im Rahmen des Seminars SPACE + BODY = PLACE untersuche ich diese Abfolge in umgekehrter Reihenfolge. Beginnend mit WHAT werden alle auftretenden Sinneseindrücke und Gefühle, die ein Ort hervorruft, erfasst. Danach wird der Ort in HOW auf seine räumlichen Parameter untersucht. Zuletzt wird in WHY eine Begründung für diese räumlichen Parameter gefunden, in Bezug auf die Zeit der Erbauung, die geografische Lage oder anderen Einflüssen auf den Ort.
LOSGELÖST ist frei von Erwartungen meines bisherigen Architekturverständnisses und konzentriert sich darauf, den für mich neuen Ansätzen Raum zu geben und mich unvoreingenommen auf den Prozess einzulassen.
A visit to the Albertinum in Dresden, refurbished in 2010 by Staab Architekten…
BODENSTÄNDIG
WHAT
FREI
Neue Umgebung. Einladend. Orientierung
gewinnen. Situation abchecken. Erstmal Setzen.
Möglichkeiten ausprobieren. Die Erwartung,
dass das Gebäude innen genauso historisch ist
wie außen, wurde nicht erfüllt. Alt und Modern.
Verschnörkelung und glatte Wand. Gegensatz.
Harmonie. Interesse geweckt. Beeindruckt. Klein
fühlen in der hohen Halle. Klein, aber positiv
klein. Keine negative Behaftung mit dem Klein-
Fühlen. Gefühl frei Reden und sich bewegen zu
können.
HOW
BODENSTÄNDIG
Die große Aufenthaltshalle ist gedämpfter
als der Vorraum und hallt nicht so sehr. Das
wird durch die hinterleuchtete Decke und die
schallabsorbierenden Einrichtungsgegenstände
hervorgerufen. Durch die Sitzmodule und das
warme Deckenlicht macht sich eine einladende
und bodenständige Atmosphäre breit. Das
gibt den Besucher:innen einen nahbareren
Eindruck der Halle. Der Raum wirkt trotz seiner
Deckenhöhe und Weite nicht überheblich. Helle
Materialien am Boden, Decke und Wänden.
Zusammenspiel aus historischer Fassade und
neuen Gestaltungsmitteln. Keine Fenster nach
Draußen. Kein natürliches Licht.
WHY
LICHTHOF
Die Beschädigung durch die Flutkatastrophe
im Sommer 2002 führte zur Schaffung
hochwassersicherer Depotflächen und zur
Generalsanierung und –restaurierung des
gesamten Albertinums. Über dem ehemals
offenen Innenhof spannt sich nun eine
2.700 t schwere Brückenkonstruktion mit
einem raumhaltigen Dach für Depots und
die Gemälderestaurierung auf zwei Etagen.
Lichtfugen zu beiden Seiten lassen Tageslicht in
die so entstandene Halle fallen, die auf 1600 m²
Fläche Platz für ein Café und einen Buchladen,
aber auch für große Kulturveranstaltungen
bietet.
RAU
WHAT
BEDRÜCKT
Laute Geräusche. Schiffssirenen und Quiet-
schen. Bedrückende Stimmung. Musik trotzdem
akzeptiert, um Raum und Ausstellung wahrneh-
men zu können. Eigenes Wohlbefinden ein-
schränken. Sich der Situation hingeben. Freies
und schnelles Bewegen im Raum. Zerstreutes
Bewegungsmuster. Hin und Her. Keine Struktur.
Schnelles Durchlaufen des Raumes, um Musik
und unangenehmen Geräuschen zu entkommen.
Abschreckende Wirkung.
HOW
RAU
Im Skulpturensaal ertönt laut eine Schiffssirene
und der Klang eines quietschendes
Ausstellungsobjektes ist zu vernehmen. Die
Klänge hallen aufgrund des Gewölbes im
kompletten Raum. Dadurch breitet sich eine
bedrückende Stimmung aus. Das Kreuzgewölbe
wird von Deckenstrahlern ausgeleuchtet. Der
Boden ist aus Naturstein. Der Raum erhält
dadurch eine rohe und raue Atmosphäre, in der
sich die unangenehmen Geräusche einfügen.
Das Zusammenspiel aus Geräuschkulisse und
den Materialien weckt kein Wohlsein.
WHY
SKULPTURENHALLE
Die Skulpturensammlung konzentriert sich
auf Kunstwerke des 19. und 20. Jahrhunderts
sowie der Gegenwart. Die Umbauarbeiten
zur Wiedereröffnung 2010 beschränkten
sich weitgehend auf die Renovierung der
Oberflächen, die Reparatur der Bodenflächen
und die Erneuerung der Heizung. Gewölbe,
Wände und Fußboden sind ansonsten
in ursprünglicher Form geblieben. Zur
Unterstützung der Präsentation wurden im
Boden und den Gewölben Hülsen eingesetzt,
mit denen sich leicht transparente textile
Ausstellungsflächen spannen lassen. Außerdem
wurde die Ausstellungsbeleuchtung eingebaut.
VERWINKELT
Der Begriff Architecture as Surrounding aus
Peter Zumthor´s Buch “Atmospheres” beschreibt
den Versuch, Architektur als menschliche
Umgebung zu begreifen. Orte, die zum Teil des
Lebens der Menschen werden und Erinnerungen
und Gefühle wecken, die die Atmosphäre einst
erzeugt hat, und ganz individuell ausfallen.
WHAT
NEUGIERIG
Labyrinth aus schwarzen Wänden. Schnelles
Hindurchbewegen. Neugierde. Keine Angst vor
Dunkelheit. Gefühl einer sicheren Umgebung
im Museum. Keine Gedanken machen über
Unsicherheit. Musik. Videoinstallation. Fokus auf
Installation.
Mein persönliches Handeln war ganz anders.
Zurückgeschreckt. Unsicherheit. Hineintrauen.
Videoinstallation. Schnelle Langeweile macht
sich breit. Drang weiter gehen zu wollen und
nicht das Ende des Videos abwarten wollen.
HOW
VERWINKELT
Leise Geräusche der Videoinstallation. Die
Notausgangsschilder verweisen auf eine sichere
Umgebung. Labyrinth aus schwarzen Wänden.
Schwarzer Boden. Schwarze Decke. Glatte
Oberflächen. Einfachheit. Räumliche Situation ist
nicht sofort erkennbar. Verwinkelte Raumführung.
Eingeschränktes Bewegungsmuster.
Auf der anderen Seite können die räumlichen
Parameter nicht nur Sicherheit ausstrahlen,
sondern auch Druck ausüben. Keine freie
Bewegungswahl. Bedrückende Geräusche.
Dunkelheit. Glatte Oberflächen. Zwang.
WHY
AUSSTELLUNG
“This is the Future” ist eine Videoinstallation,
die ursprünglich für die 58. Biennale in
Venedig konzipiert wurde. Für das Albertinum
entwickelte Hito Steyerl eine ortsspezifische
Raumkonfiguration. Zu den Komponenten
der Installation gehören LED-Texttafeln, eine
Videoleinwand und schwarze Stellwände.
Die Installationen haben eine hohe sinnliche
Präsenz. Steyerl´s Arbeit bringt Formen
eindrucksvoller, überwältigender Visualität
ganz selbstverständlich mit medienkritischen
Diskursen zusammen und soll die
Besucher:innen durch die Videoinstallation in
seinen Bann ziehen.
STERIL
Ebenso aus Zumthor´s Buch hat der Begriff
Surrounding Objects mir gezeigt, dass
durch die Nutzer:innen Gegenstände Teil der
Architektur und der Atmosphäre werden, die
ich als Architektin nicht geplant habe. Die
Erkenntnis, dass eine Zukunft für den Ort ohne
mich als Planerin existiert, hat mir sehr geholfen,
Rücksicht auf die Nutzer:innen zu geben, aber
auch die eigentliche Aufgabe für mich als
Architektin zu erkennen – Space für Nutzer:innen
erschaffen und durch räumliche Parameter
eine Atmosphäre kreieren. Aber erst durch
die Nutzer:innen und das individuelle Handeln
wird aus dem Space ein Place, auf den ich nur
bedingt Einfluss habe.
WHAT
ÜBERFORDERT
Treppenhaus. Wir zwei und zwei
Museumswächter. Beindruckend. Groß. Frei.
Laut, obwohl nur wenige Menschen da sind.
Es hallt von allen Seiten, egal wie leise wir
uns bewegen oder miteinander sprechen.
Überforderung macht sich breit. Gefühl der
Situation entfliehen zu wollen. Kein Wunsch sich
im Treppenhaus weiter aufzuhalten. Schnelles
Verlassen.
HOW
STERIL
Das Treppenhaus hat viele glatte Überflächen
und eine Treppe aus Stein. Die Wände, Decke
und die großen Glasflächen der Fenster werfen
den Schall zurück. Es befinden sich kaum
Einrichtungsgegenstände im Raum. Dadurch
wird der Schall nicht aufgefangen und macht
sich breit im Treppenhaus. Somit wirkt es so,
dass der Schall auf die Besucher:innen von allen
Seiten auf sie fällt. Dazu kommt die sehr sterile
Raumgestaltung. Das Treppenhaus hat eine
exzessive Größe und übertriebene Proportionen,
die es für die Besucher:innen schwer machen
persönliche Bezüge herzustellen und sie
ermüden lassen.
WHY
TREPPENHAUS
Das Treppenhaus liegt am Besuchereingang
der Brühlschen Terrasse. Hier wenden
nebeneinander Albertinum, Kunstakademie
und der Lipsiusbau ihre Eingangsfassaden der
Elbe zu. Um dem Umfeld gerecht zu werden,
erscheint auch das Treppenhaus in einem
prunkvollem Angesicht. Das Treppenhaus
ermöglicht die Erschließung vom 1.OG in das
2.OG des Gebäudes. Im Zuge des Umbaus ist
ein weiterer Besuchereingang am Georg-Treu-
Platz entstanden. Die beiden Besuchereingänge
haben einen direkten Zugang zum neuen
überdachten Innenhof und verleihen ihm so die
Rolle eines zentralen Raumes im Museum.